Ist Marketingtechnologie (MarTech) wirklich nur etwas für große Unternehmen? Welche Berührungsängste gibt es in der Branche mit den Anwendungen und wie findet man als MarTech-Neuling unter all den Angeboten zur Lösung, die es wirklich braucht?
Am 18. September 2024 lud die Österreichische Marketing-Gesellschaft (ÖMG) in Kooperation mit der APA zur Podiumsdiskussion und exklusiven Präsentation der Ergebnisse des 1. MarTech Report Österreich ins APA Pressezentrum am Wiener Naschmarkt.
Andreas Mauczka, APA Chief Digital Officer, Florian Mott, Hackabu CEO, Judith Sambs, Premedia Head of Consulting, Martin Schiefer, Schiefer Rechtsanwälte und Anita Thallinger, W&H Dentalwerk Director Marketing diskutierten gemeinsam mit Host und ÖMG Präsident Alexander Oswald darüber, wie MarTech Potenziale erkannt und genutzt werden können.
Die Ergebnisse des 1. MarTech Reports im Überblick
Market Research Manager Markus Divis präsentierte zum Einstieg des Abends die Ergebnisse der von Marketagent im Auftrag von APA und ÖMG durchgeführten Umfrage.
156 Interviews mit Marketingentscheider*innen, Kommunikationsexpert*innen und Geschäftsführer*innen führte Marketagent. Zu ihrem Wissensstand im Bereich MarTech gaben rund 28 % der Befragten an, sich sehr gut oder gut auszukennen, rund 32% gaben an, sich nicht auszukennen und 39% bewerteten die eigenen MarTech-Kenntnisse als mittelmäßig.
Etwas mehr als die Hälfte der Befragten (52,6%) nutzt bereits MarTech, doch rund 39% gaben an, ihre Marketingstrategien ohne Einsatz von MarTech umzusetzen. Unter den Tools werden vor allem CMS Systeme, Social-Media-Management-Anwendungen, Umfragetools und CRM-Tools eingesetzt. Bei der Zufriedenheit gab es laut Markus Divis unter den Befragten „Luft nach oben“. Besonders zufrieden sei man mit Umfragetools während CRM-Systeme häufig für Unzufriedenheit sorgten.
Eine verbessere Datenanalyse und- einsicht, die Automatisierung von Marketingprozessen und eine Effizienzsteigerung zählten zu den am häufigsten genannten Gründen für den Einsatz von MarTech in Unternehmen. Die Befragten erwarteten sich von den Technologien vor allem Zeitersparnis, eine effizientere Kampagnenplanung und eine verbesserte Entscheidungsfindung und Datenanalyse. Das Thema Innovationsführerschaft spielte in den Umfrageergebnissen eine weniger relevante Rolle.
Probleme und Herausforderungen beim Einsatz der Tools stellen besonders fehlende personelle Ressourcen, mangelnde Fachkenntnis der Mitarbeitenden, mangelnde Integration mit bestehenden Systemen sowie Bedenken im Hinblick auf Datenschutz- und Compliance und die technische Komplexität dar. Der Kostenfaktor spielte unter den Befragten eine weniger relevante Rolle.
Knapp 90% der Befragten gaben an, Datenschutz als sehr oder eher wichtiges Thema beim Einsatz von MarTech zu sehen.
Zu den vier wichtigsten Funktionen und Lösungen, die sich die Branche von den Technologien wünscht, zählen eine bessere Implementierung in bestehende Systeme, eine einfachere Handhabung, ein besserer Support mit KI-Integration sowie eine Lösungsübergreifende KI.
In der anschließenden Diskussionsrunde waren sich die Expert*innen darüber einig, dass MarTech nicht nur etwas für große Konzerne sei: „Die Technologien bieten auch für kleinere und mittelständische Unternehmen große Chancen, zum Beispiel in Form des Automatisierungs- und Skalierungsfaktors. Die Anwendung muss nicht immer groß und teuer sein. Wichtig ist, dass die Basis stimmt – dann wirkt die Technologie noch besser“, so Judith Sambs.
MarTech-Potenziale ausschöpfen
Und auch Growth Consultant Florian Mott betonte, dass es nicht immer gleich um große MarTech-Lösungen gehe: „Entscheidend ist, dass man sich im Vorfeld ganz genau überlegt, was man erreichen möchte, welche Prozesse es im Unternehmen gibt und welche Lösungen man sich erwartet.“
Das bestätigte aus Sicht der Unternehmen auch Anita Thallinger. Seit rund sechs Jahren begleitet sie nun den Prozess zur Implementierung von MarTech bei W&H Dentalwerk. „Im ersten Jahr haben wir an unserer Vision gearbeitet und herausgefunden, was genau wir brauchen. Gemeinsam mit unserer Beratungs- und Implementierungsfirma sind wir nun auf einem sehr guten Weg“, so die Marketingexpertin. Sie gab aber auch zu bedenken, dass der Einsatz von MarTech vor allem in der Anfangsphase sehr intensiv sei und viele Ressourcen im Unternehmen brauche.
Das richtige Mindset für MarTech
Judith Sambs betonte, dass es sich beim Einsatz von MarTech nicht nur darum drehe, Prozesse zu digitalisieren. „Es geht um das richtige Mindset. Wir müssen umdenken und verstehen, dass Technologie niemals ‚fertig‘ ist und sich Prozesse laufend verändern. Das bedeutet, dass sich auch Unternehmen und Mitarbeiter*innen stetig verändern müssen. Mit den neuen KI- Anwendungen wird diese Veränderung noch schneller vorangehen.“
Dem stimmte Florian Mott zu: „Man muss bereit sein, getroffene Entscheidungen infrage zu stellen und offen dafür sein, neue Tools zu implementieren. Dazu braucht es viel Flexibilität.“ Auch APA Chief Digital Officer Andreas Mauczka betonte: „Digitalisierung ist nie abgeschlossen. Manchmal haben wir uns Prozesse und Daten erschlossen – und dann kommt ein KI-Sprung, der auf all das einwirkt.“
Datenschutz ist angekommen
Für den Vergaberechtsjuristen Martin Schiefer war vor allem das hohe Bewusstsein von Datenschutz- und Compliance-Themen, das die Umfrage ergab, erfreulich: „Datenschutz ist endlich angekommen. Was mir in den Antworten der Umfrage aber fehlt, sind die Themen KI und Urheberrechte. Wenn Anwendungen in Unternehmen dann einfach einmal ausprobiert werden, ohne dass man sich zuvor mit diesen Themen befasst hat, halte ich das juristisch für bedenklich.“ Schiefer betonte, dass der Einsatz von MarTech vor allem bei der Auftragsvergabe im öffentlichen Bereich große Vorteile für Unternehmen bringe: „Daten werden dann nicht nach Bauchgefühl erhoben, sondern sind mit MarTech gut messbar – ein entscheidender Faktor bei Ausschreibungen.“
MarTech braucht Dolmetscher
Das Thema Datenschutz habe besonders auf technischer Seite viel Kopfzerbrechen bereitet, so Andreas Mauczka – etwa, wenn es um Cookie-Banner gehe. Er wünscht sich vor allem mehr Kommunikation und Vermittlung zwischen der Marketing- und der Technikseite, um das beiderseitige Verständnis zu fördern. „Digitalisierung ist ein Prozess und dazu braucht es einen ständigen Austausch zwischen Marketing und Technik“, betonte der APA Chief Digital Officer.
Worauf kommt es an bei der MarTech-Auswahl?
Rund 14.000 Lösungen sind derzeit für den Marketingbereich auf dem Markt. Wie also nähern sich jene Unternehmen und Mitarbeiter*innen dem Thema, die das Gefühl haben, zu wenig oder nichts über MarTech zu wissen?
Einerseits rieten die Expert*innen dazu, Berührungsängste mit MarTech zu überwinden und verschiedene Anwendungen einfach auszutesten oder sich mit YouTube-Tutorials mit konkreten Lösungen auseinanderzusetzen. Andererseits wurde betont, wie wichtig die Zusammenarbeit mit erfahrenen Berater- und Implementierungsfirmen sei, mit denen sowohl aus fachlicher als auch menschlicher Sicht die Chemie stimme. „Ich sehe unsere Aufgabe in einer Übersetzungsleistung und dem Wissenstransfer“, so die Premedia Beraterin Judith Sambs, „wir müssen unseren Kund*innen die nötigen Werkzeuge mitgeben und ein Verständnis dafür, wie die Technologie grundsätzlich funktioniert.“
„Die Entscheidung für eine oder mehrere Lösungen ist nicht einfach, um muss gut überlegt sein. Dafür ist das Verbesserungspotenzial sehr hoch“, betonte Andreas Mauczka.
Martin Schiefer riet, sich zuerst mit den Prozessen und Geschäftsmodellen auseinanderzusetzen: „Finden Sie heraus, wie sich Ihre Branche entwickeln wird. Dann können Prozesse mit MarTech zukunftsfähig gemacht werden.“
Unter den zahlreichen Gästen waren u.a.: Rainer Höltschl/Amalthea Signum Verlag GmbH, Roman Kasses/Bundeskanzleramt/Medienanalyse, Karin Nakhai/Dachverband der Sozialversicherungsträger, Iva Milojevic/Erste Bank, Günther Langegger/Opinion Leaders Network GmbH, Nicole Plein/Plein Communications und Martina Hollauf/Verein Menschen für Menschen.
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